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Von Somoza bis Chamorro – Ein Rückblick auf die sandinistische Revolution

Von Bernd Pickert. Der Artikel erschien erstmals in den „Lateinamerika Nachrichten 301/302 im Jahr 1999. Wir bedanken uns für die freundliche Erlaubnis zur Weiterverwendung.

Es war kein leichtes Unterfangen, das die Comandantes der sandinistischen Guerilla im Juli 1979 vor sich hatten. Der Volksaufstand hatte gesiegt, die seit den 30er Jahren in Nicaragua herrschende Diktatur der Familie Somoza war zu Ende, die Nationalgarde zerschlagen, der Diktator selbst in die USA geflohen. Und nun?

Vom somozistischen Staat war nichts mehr übrig. Der Bürgerkrieg gegen die Nationalgarde, und vor allem deren ausufernde Repression, im Zuge derer ganze Stadtviertel bombardiert worden waren, hatten das Land zerstört. Die „Junta des Nationalen Wiederaufbaus“, gebildet aus Sandinisten und einigen Vertretern der bürgerlichen Opposition, darunter die spätere Präsidentin Violetta Barrios de Chamorro, musste das Land neu aufbauen, ihm eine neue Struktur geben. Die Vorstellungen, welche das sein sollte, waren durchaus unterschiedlich. Die FSLN war sich wohl bewusst, dass der Aufstand vor allem eine Revolte gegen Somoza gewesen war, keine sozialistische Revolution.

Woher hätte die auch kommen sollen? Bis zur Gründung der FSLN war die organisierte Linke in Nicaragua völlig marginal, linkes Denken oder gar eine politisch bewusste arbeitende Bevölkerung in Nicaragua praktisch unbekannt. Die politische Auseinandersetzung hatte sich stets zwischen den Liberalen und den Konservativen abgespielt, die jedoch lediglich unterschiedliche Teile der nicaraguanischen Oligarchie vertraten. Der erste Somoza, der nach einem Sieg über den Bauerngeneral Augusto Cesar Sandino und dessen Ermordung 1934 zum Staatsoberhaupt avancierte, war der erste Präsident, der nicht einer der traditionellen liberalen oder konservativen Familien angehörte, sondern als Präsident und Chef der Nationalgarde die Interessen der gesamten Oligarchie absicherte.

Erst als der Somoza-Clan zu viel wirtschaftliche Macht für sich selbst forderte und sich zudem mit der Regierung Jimmy Carters in den USA die internationale Großwetterlage geändert hatte, wurde Somoza auch für die traditionelle Herrschaft Nicaraguas ein Problem. Dieser Legitimationsverlust der Diktatur auch innerhalb der herrschenden Klasse hat mit dazu beigetragen, dass die Rebellion gegen die Diktatur auf einer so breiten Basis stand. Die linke FSLN – Guerilla hatte im Volksaufstand zwar durch ihre militärischen und organisatorischen Führungsqualitäten eine herausragende Rolle gespielt, doch ideologisch hatte sie den Kampf noch lange nicht gewonnen. Kaum jemand wusste wirklich genau zu sagen, wie die neue Regierung politisch einzuordnen war – und das hing auch mit der ideologischen Zerstrittenheit der FSLN selbst zusammen.

Drei Flügel hatten sich in den 70er Jahren innerhalb der FSLN gebildet, die nur notdürftig zusammen gehalten werden konnten. Neben der „Proletarischen Tendenz“ und der Fraktion „Verlängerter Volkskrieg“, die sich des marxistischen und guevaristischen ideologischen Instrumentariums bedienten, waren es letztlich die „Terceristas“, die „Drittisten“ um Daniel und Humberto Ortega, Eden Pastora und Dora Maria Tellez, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre durch spektakuläre Aktionen wie die Besetzung des nicaraguanischen Nationalpalastes 1978 die Bevölkerung für sich zu begeistern wussten. Ihr Ziel war es, so schnell wie möglich die Diktatur zu zerschlagen und die Macht zu übernehmen – alles weitere werde sich dann schon finden.

Das breite Bündnis gegen Somoza
Zu diesem Zweck hatten sie schon früh damit begonnen, Kontakte zu oppositionellen Intellektuellen wie dem Schriftsteller Sergio Ramirez Mercado oder dem Befreiungstheologen Ernesto Cardenal zu knüpfen, genauso wie zu jenen Teilen des aufgeklärten Bürgertums, die sich mehr oder weniger offen gegen Somoza gestellt hatten. Etwa Violetta Barrios de Chamorro, deren Ehemann Pedro Joachin Chamorro als Herausgeber der bürgerlich-konservativen Zeitung „La Prensa“ 1978 von den Schergen der Diktatur erschossen worden war, weil er in der Zeitung über Menschenrechtsfragen berichtet hatte. So war aus taktischen Gründen ein Bündnis gegen die Diktatur entstanden, mit dessen ideologischer Vielfalt jedoch die Mehrheit der sandinistischen Kader der traditionell- linken Strömungen nichts zu schaffen haben wollte. Für sie musste die Ausrichtung der sandinistischen Revolution klar sozialistisch sein – das Modell Kuba stand in vielerlei Hinsicht Pate. So war die FSLN auch darum bemüht, ein Staatswesen aufzubauen, in dem sie alle wichtigen Positionen kontrollieren konnte.

Die FSLN bildete aus ihren Reihen Militär und Polizei. In kurzer Folge wurden sandinistische „Massenorganisationen“ gegründet, ganz so, wie man das aus den sozialistischen Ländern kannte, mit denen man sich gerne verbrüdern mochte: Industriegewerkschaft, Landarbeitergewerk- schaft, Lehrergewerkschaft, Produzentenverbände, Jugendverband, Frauenorganisation bis hin zu jenen Stadtteilorganisationen, den „Sandinistischen Verteidigungskomitees“ (CDS), über die sogar Tomas Borge später sagte, sie seien lediglich eine mechanische Kopie des kubanischen Modells gewesen. Alle diese Organisationen waren mit Sitz und Stimme auch im Staatsrat vertreten, der anstelle eines gewählten Parlamentes legislative Aufgaben übernahm – und alle waren mit FSLN-Kadern besetzt. Kunststück, dass die FSLN im Staatsrat durchsetzen konnte, was sie wollte, so dass sich die VertreterInnen des Bürgertums alsbald an den Rand gedrängt sahen und die Regierung verließen. So verfügte die FSLN schnell über die alleinige Entscheidungsgewalt in allen staatlichen Institutionen. Ihr gelang es dabei, die hierarchische Struktur einer politisch-militärischen Organisation beizubehalten, innerhalb derer die neunköpfige Nationalleitung alle Fäden in der Hand behielt. Dennoch strukturierte sich die FSLN um – von der Guerilla zur Staatspartei.

Quelle: gipanic

Aufbau und Contrakrieg
Die ersten vier Jahre sandinistischer Regierung sind vor allem von zwei Komponenten geprägt: Dem massiven Auf- und Ausbau eines für Nicaragua unbekannten Netzes sozialer Sicherheit – von der Alphabetisierungskampagne und dem Aufbau eines Basis orientierten Bildungs- und Gesundheitswesens bis zu den ersten Schritten der Landreform einerseits, dem aufkommenden Konflikt mit den USA und dem Beginn des Contra-Krieges andererseits.

Der Aufbau des Sozialwesens kostet Geld, und der nicaraguanische Staat ist pleite. Zwar hat die neue Regierung mit der Verstaatlichung des gesamten Somoza-Besitzes die Verfügungsgewalt über eine Reihe Schlüsselunternehmen in der Landwirtschaft und praktisch alle relevanten Industriebetriebe – das kapital jedoch ist außer Landes, und die Fachkräfte oft gleich mit. So werden Unternehmen, mit denen Somoza seinen Reichtum mehrte, unter der sandinistischen Staatsverwaltung schnell zu defizitären Betrieben.

Die neue Regierung erkennt die Auslandschulden an, die Somoza hinterlassen hat und erreicht dadurch günstige Konditionen für eine Umschuldung. Frisches Geld kommt ins Land und wird umgehend im Sozialbereich verkonsumiert. Unumwunden setzen einige sandinistische Ökonomen alles in die Hoffnung, ähnlich wie Kuba Sonderkonditionen aus dem sozialistischen Wirtschaftsraum (RWG) zu erhalten. Der aufkeimende Krieg mit den USA ist so zwar nicht willkommen, nutzt aber dennoch auch, um die UdSSR unter Druck zu setzen, die sandinistische Regierung nicht im Regen stehen zu lassen. Dafür beteuert man auch fleißig, es handle sich bei der sandinistischen Revolution um eine Revolution mit „sozialistischer Ausrichtung“, während westliche Geldgeber stattdessen ein Modell der gemischten Wirtschaft und des Parteienpluralismus vorgeführt bekommen.

Beide Strategien nutzen – der Geldstrom nach Nicaragua reißt in den ersten Jahren nicht ab. Er befördert freilich nichts anderes als eine Mentalität der Staatsfixierung und des Verschenkens. Kredite werden unterhalb der Inflationsrate verzinst und so zu direkten Subventionen, die Pro-duktivität sinkt ständig. Die Landreform kommt nicht recht in Gang, weil die sandinistische Regierung wenig Lust verspürt, das in ihrem Besitz befindliche Land tatsächlich umzuverteilen – ihr schwebt vielmehr der Aufbau eines staatlichen Sektors in der Landwirtschaft vor. Erst nachdem die FSLN die Wahlen 1984 in den wesentlichen landwirtschaftlichen Regionen des Nordens und des Landesinneren recht schlecht abschneidet und dort gleichzeitig die Contra ihre soziale Basis auszubauen versteht, erhalten mehr Bauern Landtitel.

Freie Produzenten sind sie trotzdem nicht. In der Kreditvergabe werden Staatsbetriebe und Kooperativen bevorzugt und alle landwirtschaftlichen Betriebe sind gezwungen, ihre Produkte über die staatliche Konsumorganisation zu festgelegten Preisen zu vertreiben, die in der Situation des Mangels deutlich unter den Marktpreisen liegen. Eine ganze Generation von ProduzentInnen und KonsumentInnen, die ihre Produkte auf dem immer mehr blühenden Schwarzmarkt handeln, wird kriminalisiert.

Doch schon zu diesem Zeitpunkt folgt die Regierung kaum noch einer Politik der sozialen Umgestaltung – vielmehr betreibt sie eine Flickwirtschaft zur machterhaltung nach den Gesetzen der Kriegslogik. Die militärische Sicherung genießt oberste Priorität, die politischen Spielräume für Medien, Parteien und Bevölkerung werden immer enger, der Staat schottet sich zusehends ab, bietet immer weniger Möglichkeiten zur Partizipation. Jede öffentliche Debatte etwa mit Gesundheitsarbeiter- Innen, LehrerInnen, Busfahrern oder Zuckerrohrschneidern, bei der diese ganz konkrete Probleme vortragen, endet damit, dass ein sandinistischer Kader erklärt, dass es vor allem darauf ankomme, die imperialistische Aggression gegen Nicaragua abzuwehren. Der Diskurs ermüdet. So hat die US – finanzierte Contra doppelten Erfolg: sie schwächt das Land wirtschaftlich und zehrt die Revolution politisch von innen her aus.

Ab 1986/87 wird die Situation immer unerträglicher. Der Krieg fordert immer mehr Opfer, die sandinistische Jugendorganisation ist vor allem damit beschäftigt, junge Männer – zum Teil mit Gewalt – für den Militärdienst zu rekrutieren, die Inflation hat horrende Größenordnungen angenommen. Außenpolitisch kann die sandinistische Regierung zwar erreichen, dass die USA 1986 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Zahlung von 12 Milliarden US $ Schadensersatz an Nicaragua verurteilt werden (eine Summe, die sie nie zahlen und die ihnen von der konservativen nicaraguanischen Regierung in den 90er Jahren feierlich erlassen wird). Doch für ihre Position, mit der Führung der Contra nicht verhandeln zu wollen, die für die Sandinisten lediglich eine Marionettentruppe des Pentagon darstellt, findet die nicaraguanische Regierung immer weniger Unterstützung.

1988, zwei Jahre vor den nächsten Wahlen und ein Jahr vor den Umstürzen in Osteuropa, muss die Regierung ihren Kurs grundlegend ändern - es kommt zu direkten Verhandlungen mit der Contra und zu einem wirtschaftlichen Schockprogramm, mit dem das Staatsdefizit verringert, die Inflation abgebaut und Kapital ins Land geholt werden soll. Zu spät – und zu halbherzig. Die Währungsreform von 1988 streicht an den wertlosen alten Cordobas lediglich ein paar Nullen weg, Schwarzmarkt und Inflationsspirale bewegen sich nur noch schneller. Die staatliche Verwaltung, die Tausenden von SandinistInnen Arbeit gibt, ist ein aufgeblähter bürokratischer Moloch, der den Mangel verwaltet und teilweise erst produziert. Die Kaufkraft gerade der Armen, die doch durch die Revolution am meisten profitieren sollten, ist rapide gesunken – und mit ihr die Legitimation der sandinistischen Regierung, deren lokale VertreterInnen obendrein immer öfter durch Amtsmissbrauch und Korruption auffallen. Lediglich die nach wie vorkostenintensiv aufrechterhaltene Subventionierung von Lebensmitteln sichert den Ärmsten noch einen minimalen Lebensstandard.

1990 überstempeltes Inflationsgeld, 500.000 auf einem 20 Cordoba Schein

Am 25. Februar 1990 bekommen die Sandinisten die Quittung: bei den allgemeinen Wahlen erhält das von den USA unterstützte Oppositionsbündnis U.N.O. mit der Präsidentschaftskandidatin Chamorro 54 % der Stimmen. Tausende sind im Krieg gestorben, das Land ist politisch zerrissen, wirtschaftlich verarmt und voller Waffen. Die sandinistische Führungsschicht sichert sich mit einigen zwischen Wahlniederlage und Amtsübergabe eilends erlassenen Gesetzen einen Teil ihrer Pfründe – und diskreditiert sich in den Augen vieler Menschen noch mehr. Vom Versuch, Nicaragua durch eine Revolution des Volkes auf einen Weg aus der Armut und Bevormundung zu führen, ist nicht viel übrig geblieben.

 

 

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