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Die eigene Haut zu Markte tragen – Kinder- und Jugendprostitution in der nicaraguanischen Gesellschaft

   
Sie sitzen in Parks und putzen Schuhe, bedienen in Bars und Restaurants, verkaufen Snacks und Cola an Reisende: arbeitende Kinder gehören in Nicaragua zum Straßenbild, daran gewöhnt sich der Reisende schnell. Was weniger offensichtlich ist: manche dieser Kinder gehen der Prostitution nach. Der Begriff der Kinderprostitution trifft jedoch nur bedingt zu, denn Prostitution bedeutet eine freiwillige sexuelle Dienstleistung, die ohne Zwang stattfindet. Kinder aber entscheiden sich nicht aus sich selbst heraus, ihren Körper zu verkaufen. Deshalb soll hier besser von kommerzieller sexueller Ausbeutung von Minderjährigen gesprochen werden. Öffentliches Problembewusstsein und Medieninteresse an diesem Thema halten sich bislang in Grenzen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2002 ist einem Großteil der Bevölkerung dieses Problem bekannt, tritt ihm aber mit Gleichgültigkeit oder Komplizenschaft gegenüber oder betrachtet es gar als etwas „ganz Normales“. Dies gilt allerdings nur in Hinblick auf Jugendliche – Sex mit vorpubertären Kindern wird als abartig oder pervers charakterisiert.

Wenn ein Mann hingegen Sex mit einer geschlechtsreifen Jugendlichen hat – und sei es gegen Bezahlung – so steigert er damit sein Ansehen. Gerade Sex mit „unberührten“ Frauen wird als etwas betrachtet, das besonderes Prestige gegenüber anderen Männern mit sich bringt. Zwar verbietet das nicaraguanische Strafrecht jede Form der sexuellen Ausbeutung Minderjähriger, allerdings ist die Strafverfolgung durch die Behörden äußerst mangelhaft. Das Einstiegsalter liegt durchschnittlich bei 12 bis 14 Jahren, wobei die meisten Minderjährigen bereits im frühen Kindesalter mit Gewalt und sexueller Ausbeutung konfrontiert waren. Die Gründe für den Einstieg sind unterschiedlich. Manchmal ist es die eigene Familie, die gegen Gefälligkeiten (z.B. Bezahlung der Stromrechnung) vermittelt. In Puerto Corinto an der Pazifikküste, einem Brennpunkt der Prostitution Minderjähriger, gibt es Hinweise auf regelrechte „Familiengewerbe“, die sich gegenerationsübergreifend der Prostitution widmen. In anderen Fällen müssen Kinder beim Verkauf von Süßigkeiten helfen und mit einer bestimmten Geldsumme zurückkommen – damit leisten Familien möglicherweise unwissentlich der sexuellen Ausbeutung Vorschub.

Abgesehen von den einschlägigen Bars und Nachtclubs findet kommerzielle sexuelle Ausbeutung meist an ganz gewöhnlichen Orten statt: Parks, Einkaufszentren, touristische Attraktionen, gut bewachte und hübsch gepflegte Orte, die von der Mittel- und Oberschicht frequentiert werden. Weitere Brennpunkte sind Busterminals, Märkte, Häfen, Zollstationen, Plätze, an denen sich viele Menschen aufhalten und eine starke Fluktuation und Anonymität herrscht. Diese Orte sind nicht zufällig Brennpunkte der Kleinkriminalität und Drogenumschlagsplätze. Die minderjährigen Prostituierten konsumieren überwiegend selbst Drogen. Dies reicht vom weit verbreiteten Klebstoffschnüffeln über Tabletten und Alkohol bis hin zu harten Drogen. Zumeist nehmen die Kunden die Minderjährigen in eine hospedaje oder in ein Hotel mit, gelegendlich bringen sie sie in ihre Privatwohnung oder laden sich in die Führerkabine ihres LKW ein. Pro Kunde bekommt ein Kind ca. 1 Dollar, in Ausnahmefällen bis zu 50 Dollar. Dieses Geld wird hauptsächlich für den Eigenkonsum, d.h. Essen, Trinken, Drogen und Kleidung ausgegeben. Manche unterstützen mit dem Geld ihre Familien. Über die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlichen gaben an, neben der Prostitution noch weitere Einkommensquellen zu haben.

Die größten Probleme der Kinder und Jugendlichen beziehen sich direkt oder indirekt auf ihre Arbeit in der Prostitution: über 50% leiden an Geschlechtskrankheiten, bzw. hatten sich früher einmal infiziert. Viele berichten von Gewalttätigkeiten durch die Polizei bis hin zu sexuellen Übergriffen bei Festnahmen. Auch Brutalität und Übergriffe durch die Kunden haben viele erleiden müssen. Die meisten Kinder sagen, dass sie durch die Missachtung ihrer Familien leiden. Die Ursachen für das Phänomen der sexuellen Ausbeutung sind vielschichtig, müssen jedoch immer auf dem Hintergrund der sich verschlechternden Wirtschaftslage und der Massenarbeitslosigkeit gesehen werden. Oft bleibt Frauen, Kindern und Jugendlichen keine Wahl: „Prostitution ist der sichtbarste Ausdruck dafür, dass der Körper wie eine natürliche Ressource investiert bzw. ausgebeutet wird, weil er allen Einkommen und Profit sichert.“

Die Kundschaft kommt aus allen sozialen Schichten, wobei sich die Mehrzahl aus derselben Stadt bzw. der näheren Umgebung rekrutiert. In Managua und einigen Küstenstädten wird aber auch von ausländischen Touristen als Kunden minderjähriger Prostituierter berichtet. Die Förderung des internationalen Tourismus durch die Regierung wird in den kommenden Jahren auch das Problem des Sextourismus verstärken.

Bislang gibt es nur einige schlecht ausgestattete Nicht-Regierungs- Organisationen die mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen arbeiten. Viel müsste noch getan werden, um die nicaraguanische Gesellschaft für dieses Thema zu sensibilisieren. Die strafrechtlichen Vorgaben müssten konsequent umgesetzt werden. Die Profiteure der sexuellen Ausbeutung müssten durch gesellschaftliche Entsolidarisierung bekämpft werden und nicht zuletzt brauchen die Menschen in Nicaragua ökonomische und soziale Bedingungen, damit Eltern ein Auskommen in Würde haben und Kinder wieder das tun können, was sie in diesem Alter eigentlich tun sollen: spielen, lernen und Spaß haben.

Der Text wurde dem Rundschreiben 2/05 des Informationsbüro Nicaragua Wuppertal entnommen und an einigen Stellen bearbeitet. Wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigung.

 

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