Städtepartnerschaft Gießen - San Juan del Sur in Nicaragua Unsere Nachbarn vom Pazifik
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Wohin geht die Reise? – Die touristische Entwicklung in San Juan del Sur aus der Sicht von Bewohnern und Experten

Die touristische Entwicklung ist ein wichtiger Punkt für Stadt und Bevölkerung. Der DED unterhielt ein Programm zur Konzeption von sanftem und sinnvollem Tourismus im Rahmen der Städteplanung. Es gab städtische Überlegungen zum Bau eines Jachthafens, der bisher noch nicht verwirklicht wurde. Unser Verein hat im Jahr 2005 Schulaufsätze schreiben lassen und hauptamtliche Funktionäre, Tourismusexperten sowie Hotelbetreiber nach ihrer Meinung gefragt.

1. Schüler und Schülerinnen vom „Instituto Mangolo y Rubio“
   – die Skepsis überwiegt


Im November 2005 fragte gipanic Schüleraufsätze zum Thema „Der Tourismus in San Juan“ an. Beteiligt haben sich Schüler und Schülerinnen eines 10. Schuljahres der örtlichen Sekundarschule „Mangolo y Rubio“. Die Aufsätze wurden freiwillig geschrieben, die Autorinnen und Autoren sind zum Teil anonym geblieben. Inhaltlich wurde deutlich, dass sich die jungen Leute sehr differenziert mit der Thematik auseinandergesetzt haben und sowohl positive als auch negative Wirkungen von Tourismus beschreiben. In über der Hälfte der eingegangenen Arbeiten überwog jedoch die Angst, von den Entwicklungen des Tourismus in San Juan del Sur überrollt zu werden.

Positiv bewerten fast alle Schülerinnen und Schüler das Arbeitsplatz- argument. Vor allem im Baugewerbe, in der Gastronomie und im Einzelhandel würden neue Arbeitsplätze entstehen. Im Rahmen eines allgemeinen wirtschaftlichen Wachstums könnten sich auch indirekt neue Arbeitsmöglichkeiten eröffnen. Mehr Arbeitsplätze bedeutet für alle mehr wirtschaftliches Wachstum und Fortschritt. Einige Schülerinnen und Schüler sind stolz auf die natürlichen Reichtümer, die San Juan zu bieten hat und darauf, dass diese so viele Menschen aus dem In- und Ausland anlocken. Der Staat könnte mit steigenden Touristenankünften mehr Devisen erwirtschaften und dieses Geld in die marode Infrastruktur investieren. Viele Orte an der Küste sind für die Bewohner San Juans erst dadurch bekannt geworden, das Ausländer diese besuchten, bzw. sich dort ansiedelten. Gewinne aus dem internationalen Tourismus könnten in die lokale Infrastruktur investiert werden, womit auch die Palette an Freizeitmöglichkeiten für junge Menschen in San Juan erweitert würde (zum Beispiel Kino).

Am Strand von San Juan del Sur Quelle: gipanic

Die Voraussetzungen für den wachsenden Tourismus seien aber in San Juan noch nicht erfüllt: einige Schülerinnen und Schüler empfinden ihre Stadt inklusive ihrer Bewohner als „unaufgeräumt“ - die Wasserversorgung und die Müllentsorgung wären noch nicht optimal entwickelt, die Straßen müssten erneuert und die Menschen müssten für die Herausforderungen des Tourismus qualifiziert werden. Bislang profitierten die Bewohner von San Juan kaum, so die Meinung der meisten: die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe benutzten San Juan nur als Umsteigemöglichkeit, ohne dort Geld auszugeben und die meisten Hotels seien in den Händen von Ausländern. In fast allen Aufsätzen kommt die Angst vor wachsendem Drogenhandel und ansteigender Prostitution zum Ausdruck. Viele befürchten die Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten, wie zum Beispiel AIDS, zum anderen einen Anstieg der Kriminalitätsrate.

Einige Schüler und Schülerinnen befürchten den kulturellen Ausverkauf ihrer Kultur: durch das Vorleben eines anderen scheinbar attraktiveren Lebensstils der Touristen könnte die eigene, schwächer eingestufte Kultur verloren gehen. Ein Austausch zwischen den Kulturen sei positiv, aber er müsse zwischen „Gleichen“ stattfinden, meint ein Schüler. Alle Befragten bewerten die Zerstörung von Naturräumen und von natürlichen Ressourcen als negativ. Weder die Zentralregierung noch die Kommunalverwaltung hätten ein vernünftiges Konzept zur Tourismus- entwicklung, es fehlten konkrete Visionen für einen Tourismus, der vielen nützen könnte. Bislang sei der Tourismus in San Juan schlecht verwaltet und organisiert worden. Die bislang entstandenen Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig seien der Privatinitiative ausländischer Investoren zu verdanken und nicht den Bestrebungen der eigenen Regierung.


2. Die Meinung von Tourismusexperten – zwischen Community- und Luxustourismus - Vorbild Costa Rica

Die gipanic – Praktikantin Silke Bender befragte im Auftrag des Vereins Tourismusexperten in San Juan del Sur nach ihrer Einschätzung der zukünftigen touristischen Entwicklung. Die Gespräche wurden Ende 2005 in San Juan protokolliert und von Norbert Wenzel nachgezeichnet.

1. Carla Petzl-Beck, Ex-Genaral Managerin „Morgans Rock Hotel“

Die Zukunft San Juans liegt ganz klar im Luxustourismus für eine zahlungskräftige Zielgruppe. Ich sehe Yachthäfen und Anlegestellen für Kreuzfahrtschiffe a la Saint Tropez. Die vorhandenen Luxusunterkünfte werden sich noch einen Stern hinzuverdienen (z.Zt. 4 Sterne-Hotels), 10 weitere Sternehotels werden noch hinzukommen. Für die Bevölkerung San Juans werden neue Arbeitsplätze entstehen und damit wird für viele die Lebensqualität steigen. Es wird notwendig sein, weiter in die Infrastruktur zu investieren, z.B. in Energie- und Abwasserprojekte, wovon auch die Menschen im Ort profitieren werden. Die Natur wird teilweise für die Bauvorhaben zurückweichen müssen – das ist wohl unvermeidlich.


2. Chris Berry, Manager „Pelican Eyes“ Hotel
San Juan del Sur hat enormes touristisches Potenzial, der Tourismus wird weiter anwachsen. Ich denke, dass alle Zielgruppen abgedeckt werden sollten, das heißt, es wird ein Nebeneinander von Luxus- und Communitytourismus geben. Auch die Rucksackreisenden sind weiterhin willkommen, weil sie den nötigen „spirit“ ins Land bringen. Besonders die Einheimischen können davon durch die Vermietung von Privatunterkünften oder durch das Angebot von Spanischkursen profitieren. Das große Geld wird aber weiterhin mit dem Luxustourismus verdient werden. Für San Juan bedeutet mehr Tourismus mehr Arbeitsplätze, außerdem öffnen die Reisenden den Einheimischen ein wenig mehr das Fenster zur Welt, es gibt eine echte Chance für einen Austausch der Kulturen.

Das „Pelican Eyes“ zum Beispiel bereitet seine Angestellten auf die Touristen vor, indem sie Englischunterricht erhalten. Mit einem Teil unserer Einnahmen unterstützen wir soziale Projekte im Ort. Es ist schon ein Widerspruch, dass Bewohner des Ortes ihren Heimatort verlassen haben und noch mehr Menschen San Juan verlassen werden, weil sie ihre Häuser und Grundstücke gewinnbringend an Ausländer verkaufen können. Damit wird auch ein Stück kulturelle Identität des Ortes verloren gehen. Für die Zukunft muss zunächst in die Infrastruktur investiert werden. Es fehlen gesetzliche Regelungen, um Wälder, Strände und Reservate effektiv zu schützen, damit San Juan langfristig nicht an Attraktivität einbüßt.


3. Patricia Garcia, Präsidentin der lokalen Tourismuskommission (2003-2005)
San Juan wird sich touristisch weiterentwickeln und ich sehe unser Nachbarland Costa Rica als großes Vorbild. Wir heißen Touristen willkommen, die die landschaftlichen und natürlichen Schönheiten kennen lernen wollen. Der Communitytourismus, d.h. Privatunterkünfte auf dem Land, wird wohl vor allem von Nicaraguanern genutzt werden. Ich sehe mehr Arbeitsplätze, mehr Wirtschaftswachstum und mehr Lebensqualität, die Armut wird allmählich aus San Juan verschwinden. Feste wie etwa „Halloween“ brauchen wir dagegen nicht, obwohl das hier ja bereits von einigen gefeiert wird. Wir haben doch unsere eigenen Feste und Traditionen und ich hoffe, dass wir diese Kultur nicht verlieren werden. Das Problem ist, dass wir eigentlich ein kleines Fischerdorf geblieben sind und uns mit der großen Welt des internationalen Tourismusgeschäfts kaum auskennen. Wir können kein ausgebildetes Personal für die Arbeit in den Hotels anbieten. Kein Wunder, dass Ausländer diese Jobs machen. Ich fürchte in Zukunft einen weiteren Anstieg des Preisniveaus in San Juan del Sur, Einheimische werden sich wohl kaum noch ein Haus hier leisten können. Angst habe ich vor allem vor dem Aufkommen von Kinderprostitution und AIDS, den Schattenseiten des eigentlich positiv zu beurteilenden Wirtschaftssektors Tourismus.


4. Jose de la Cruz,
Geschäftsführer „Community Tours Ostional

Wichtig ist doch die Balance zwischen Community- und Luxustourismus. Ich wünsche mir natürlich, dass es mehr Tourismus geben wird, der vor allem die ländliche Bevölkerung unterstützt. Wir können da eine Menge anbieten, von Reitausflügen über Vulkanbesteigungen bis hin zu Spanischunterricht und Sportfischerei. Ich sehe unser Potenzial im Angebot eines naturnahen Tourismus und deshalb ist es wichtig, dass die Natur mehr geschützt wird durch Gesetzte und Regelungen für die Nutzung von Stränden zum Beispiel. Die Mehrheit der Landbevölkerung ist jedoch noch nicht ausreichend auf ein Anwachsen des Tourismus vorbereitet.
 

5. Eduardo Holmann Chamorro, ehemaliger Bürgermeister

Ein zentrales Projekt ist für mich der Ausbau der Küstenstraße, die eine direkte Verbindung nach Costa Rica darstellen wird. Wenn es erst einmal diese Straße gibt, wird auch die touristische Erschließung voranschreiten und San Juan für Investoren noch attraktiver. Wir müssen unser Potenzial nutzen, unseren natürlichen Reichtum und unsere Gastfreundschaft. Die touristische Infrastruktur muss weiter ausgebaut werden, da stehen wir erst am Anfang. Wir wollen für verschiedene Zielgruppen interessant sein, sowohl für einen Luxustourismus, als auch für den Communitytourismus. Wirtschaftliches Wachstum bringt immer positive und negative Aspekte mit sich – unsere Bürger müssen dabei selbst initiativ werden und sich auf die erwarteten Gäste einstellen, sei es durch den Erwerb der englischen Sprache oder durch das Erlernen von Computerkenntnissen. Alle haben die Chance, vom Tourismus zu profitieren. Ich persönlich werde mich für die Einhaltung der Gesetze zum Schutz von Umwelt und Natur stark machen.

6. Norbert Rose, DED-Entwicklungshelfer
42 Strände – da ist Platz für unterschiedliche Zielgruppen von Tourismus. Ein wie auch immer definiertes Tourismuskonzept setzt allerdings eine funktionierende Infrastruktur voraus. San Juan braucht den Ausbau der Küstenstraße nach Costa Rica, es braucht den Ausbau von Ver- und Entsorgungssystemen. Die Entwicklungen werden wahrscheinlich ähnlich wie im benachbarten Costa Rica laufen, da kann San Juan in Sachen Natur- und Abenteuertourismus mithalten. Eine ernst zu nehmende Konkurrenz zu Mexico oder Costa Rica wird die Region hier dennoch nicht werden – die momentanen Preisvorteile und der Freundlichkeitsfaktor der Bevölkerung werden schnell aufgebraucht sein. Die Einführung von gesetzlichen Regelungen und deren Umsetzung wird die Nutzung küstennaher Gebiete festlegen. Negativ ist dabei, dass die lokalen Machthaber, sprich der Bürgermeister, für die Umsetzung verantwortlich sind – die bevorzugen eher die private Nutzung von Stränden. Die Küste südlich von San Juan eignet sich für einen Tourismus der gehobenen Klasse, in San Juan selbst könnten größere Hotelkomplexe entstehen, während an der Nordküste kleine Backpackerunterkünfte für die Surferszene entstehen könnten. Daneben spielt der Bau von Wochenendhäusern und Houseshare-Investitionen sicherlich eine wichtige Rolle. Was San Juan aber noch fehlt, ist ein Aushängeschild für den internationalen Tourismus. Ein Wirtschaftsinstitut entwickelt zur Zeit Tourismus- und Investitionsstrategien für San Juan del Sur. Es gibt aber noch keinen Konsens über die internationale Vermarktung.

Für die junge Generation wird es mehr Arbeitsplätze geben, auch Privathaushalte können vom (Community-) Tourismus profitieren. Ob San Juan im internationalen Maßstab konkurrenzfähig sein kann, ist fraglich. Es gibt kein geschultes Personal für die Luxushotels, wer eine Ausbildung hat, geht lieber nach Costa Rica, weil die Löhne dort deutlich höher sind. An den Älteren wird die touristische Entwicklung eher vorbeirauschen. San Juan ist bis vor kurzem ein kleines Fischerdorf gewesen, es regiert eine gewisse Unbekümmertheit, vielleicht sogar Trägheit, mit Sicherheit aber ist der Alkoholmissbrauch weit verbreitet. Außerdem ist es ja relativ einfach, sein Haus für viel Geld an Ausländer zu verkaufen und der Stadt den Rücken zu kehren.

Für die Zukunft wird es schwierig den schon eklatanten Raubbau an der Natur einzudämmen. Vielmehr schreitet die Waldrodung ungebremst voran, die Küstengewässer sind so gut wie leer gefischt, seitdem engmaschige Netze zum Einsatz kommen. Es fehlen auch Planungen für einen nachhaltigen Trinkwasser- und Abwasserhaushalt.

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