Städtepartnerschaft Gießen - San Juan del Sur in Nicaragua Unsere Nachbarn vom Pazifik
Städtepartnerschaft Gießen - San Juan del Surin Nicaragua Unsere Nachbarn vom Pazifik
Männer der ersten Stunde

 

1985-1986 Die Anfänge – eine schwere Geburt

 

Sommer 1984, in Nicaragua tobt nach der Euphorie der Revolutionstage von 1979 der Contrakrieg Die internationale Solidaritätsbewegung organisiert Arbeitsbrigaden, um den Freunden in Mittelamerika bei der Kaffeeernte oder beim Wiederaufbau der maroden und vom Krieg geschädigten Infrastruktur zu helfen. Vier Gießener Bürger beteiligen sich an solch einem Arbeitseinsatz. Die letzten Tage in Nicaragua verbringen die Brigadisten an den Stränden der verschlafenen Stadt San Juan del Sur am Pazifischen Ozean im Süden des Landes. Der Ort ist von den kriegerischen Auseinandersetzungen im Rest des Landes weitgehend verschont geblieben. Hier erfahren die Gießener, dass San Juan Interesse an einer Partnerschaft mit einer europäischen Stadt hat. Parallel zu diesem Geschehen im fernen Mittelamerika begeistern sich in der mittelhessischen Universitätsstadt Gießen junge und motivierte Bürger und Bürgerinnen für die Idee einer Städtepartnerschaft mit einer Kommune im revolutionären Nicaragua. Im Januar 1985 gründen Aktivistinnen und Aktivisten aus Gewerkschaften, linken Parteizusammenhängen, Kirche und Internationalismusarbeit die „Initiative für eine Städtepartneschaft mit einem Ort in Nicaragua“.

Die Initiative hatte einen explizit
politischen Charakter, ohne parteipolitisch ausgerichtet zu sein. Hier ging es nicht nur um die Problematik irgendeines Landes der „Dritten Welt“, sondern um die deutliche Kritik an der Politik des „großen Bruders“ USA, der mit Wirtschaftsboykott, Verminung von Häfen, militärischer, finanzieller Unterstützung der Contrarebellen und offenen Invasionsdrohungen die Selbstbefreiung des nicaraguanischen Volkes zunichte machte.

Die Fraktionen von SPD und Grünen übernahmen den Antrag der neu gegründeten Initiative in ihre Programme zur anstehenden Kommunalwahl in Gießen und verkündeten nach dem Wahlgewinn, dass eine offizielle Städtepartnerschaft mit San Juan del Sur in Nicaragua angestrebt werde. 1985 wurde der „Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Gießen – San Juan del Sur und Region“ von rund 25 Gründungsmitgliedern aus der Taufe gehoben. Der Antrag für den Abschluss der Städtepartnerschaft lag jetzt der Stadtverordnetenversammlung vor und wurde in der Öffentlichkeit heftig und kontrovers diskutiert.

Aus heutiger Perspektive ist die Aufregung um den Antrag schwer nachvollziehbar, muss aber verstanden werden mit dem Hintergrund der politisch alles bestimmenden Ost-West-Bipolarität. Gießen war eine klassische Garnisonsstadt mit stationierten US-Streitkräften und dem größten NATO-Nachschublager für zivile Güter in Europa. Die Amerikaner ein Wirtschaftsfaktor, mit denen man es sich nicht verscherzen wollte. Die Vorwürfe des damaligen Stadtparlamentsvorstehers gingen dahin, dass der Verein mit Hilfe von Rot-Grün die USA kriminalisieren wolle mit dem Ziel des Austritts Deutschlands aus der NATO. In Nicaragua unterstütze man einen sozialistischen Einparteienstaat, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten und zum offenen Kampf gegen die Kapitalisten aufgerufen würde. Ein Leserbriefschreiber schreckte vor dem Attribut „faschistoid“ nicht zurück, um seine Sicht der Politik der Sandinisten zu charakterisieren.

Nicht zuletzt dieser Leserbriefkampagne in der Lokalpresse ist es zu verdanken, dass das Thema Nicaragua in Gießen einen hohen Bekanntheitsgrad erreichte. Der Beschluss der Städtepartnerschaft durch die politischen Entscheidungsträger ließ noch einige Monate auf sich warten. Bei Beschlussvorlage im städtischen Parlament kam die erforderliche Mehrheit wegen Abwesenheit durch Schwangerschaft einer Abgeordneten nicht zustande, so dass die Städtepartnerschaft erst in einem zweiten Anlauf nach der Sommerpause besiegelt werden konnte – eine wahrlich schwere Geburt...

Wo bekommen wir noch Mittel her?

 

Nachdem sich die politischen Wogen in Gießen ein wenig geglättet hatten, ging es nun an die konkrete Umsetzung der Vereinsziele - fernab jeglicher Revolutionsromantik wurden im ständig wachsenden Montagsplenum, dem Entscheidungsgremium für Vereinsbelange, hitzige Debatten um Schiffsrumpffarbe „Anti-Fouling“, Batterieladegeräte für Schiffsdieselmotoren und Dieselschweißgeräte geführt. Ein erstes Solidaritätsprojekt war nämlich die Unterstützung der maroden staatlichen Fischfangflotte in San Juan. Je nach persönlichen Schwerpunkten und Spezialkenntnissen konnte sich jede und jeder in die Arbeit einbringen. Zu tun gab es genug: entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit in Form von Pressearbeit und Büchertischen in der Fußgängerzone, Spenden- und Mitgliederwerbung und die Vorbereitung des „1. Konzert für San Juan“. Das Interesse der Gießener an der neuen Partnerschaft war überwältigend: über 1000 Besucher und Besucherinnen strömten in die Kongresshalle, lauschten den Klängen lateinamerikanischer Musik und den eindringlichen Worten des nicaraguanischen Botschafters zur Unterstützung Nicaraguas. Das mittelamerikanische Land galt für viele als sympathisch, da es sich aus eigener Kraft von Ausbeutung und Unterdrückung befreit hatte und nun mühsam versuchte, den US-finanzierten Umsturzabsichten der Contra zu widerstehen. Im Juli 1986 wurden in San Juan und in Gießen die Partnerschaftsurkunden unterzeichnet, der Verein erhielt erstmals Mittel aus dem Städtepartnerschaftsfond der Stadt Gießen zur Unterstützung der Projektarbeit in San Juan del Sur.

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